Was ist eine Idee?
Der flüchtige Kuss einer viel beschäftigten Muse? Das aufdringliche Hirngespinst, das einem den Schlaf raubt? Dieses beklemmende Gefühl, das man hinausschreien muss, weil man es sonst nicht mehr aushält?
Aus diesen hochtrabenden Gemütszuständen kann ein toller Film entstehen. Wenn man allerdings nicht zu den Menschen gehört, die pausenlos von einem exaltierten Zustand zum nächsten schweben, lohnt es sich, die Sache selbst und bewusst in die Hand zu nehmen. Kurzum, nicht auf die Muse zu warten. Denn,
„Inspiration existiert, aber sie muss dich bei der Arbeit vorfinden.“
Pablo Picasso
Aber: Wie macht man das? Wie geht man mit dieser immensen Freiheit um, mit dieser Furcht einflößenden Leere? In unserem Fall, dem leeren Blatt Papier, dem unerbittlich blinkenden Cursor? Man könnte ja schließlich scheitern. Man könnte gezwungen sein, sich seine eigene Unzulänglichkeit einzugestehen. Man könnte, man könnte. Nicht enden wollende Gedankenschleifen. Je weniger Beachtung man ihnen schenkt, desto schneller verstummen sie auch wieder. Gewiss kommen sie auch wieder. Aber in den kostbaren Pausen könnte man schreiben. Und da bleibt die Frage nach dem: Wie?
Das Beste ist, die Augen aufzumachen und offen durchs Leben zu gehen. Meist bahnt sich die Idee ihren Weg zu unserem Stift oder Tastatur auf eher prosaische Art.
Ideen können entstehen, indem man:
- jemanden oder sich selbst begegnet,
- einen Zeitungsartikel oder ein Buch liest,
- eine Geschichte oder ein Geheimnis erzählt bekommt,
- ein Foto oder ein Gemälde betrachtet,
- träumt oder meditiert,
- sich von Gerüchen oder Geschmäckern betören lässt,
- einen Song oder ungewöhnliche Geräusche hört,
- sich mit einem Tier oder einer Pflanze beschäftigt,
- eine Lichtstimmung oder eine Wetterlage bewusst wahrnimmt,
- seine Umgebung erkundet,
- sich an einen realen oder surrealen Ort der Sehnsucht katapultiert.
Die Liste ist endlos.
Die Beobachtung des Alltags ist so wichtig, weil eine reiche Ausbeute an Eindrücken den Texten Energie und Authentizität verleihen. Die Leser und das Publikum wollen schließlich ihre Sorgen vergessen und in eine neue Welt entführt werden. Egal wie fantasievoll diese ist, sie muss in sich schlüssig und glaubhaft sein. Die Figuren sollen fesselnd, vibrierend und originell sein. Aber eben auch nachvollziehbar. Dies gelingt, indem man Figuren Attribute und Gewohnheiten zugesteht, die sie menschlich, einzigartig und wiedererkennbar machen. Und wo findet man bessere Inspiration über die menschliche Vielfalt, als in der eigenen Umgebung? Angeblich gibt es über 180 Arten, schmutziges Geschirr abzuwaschen. Welche ist Deine? Welche die Deiner Hauptfigur?
Und so kann, aus dem Strom der Eindrücke, eine Tendenz entstehen. Ein zunächst diffuses Gefühl, das wiederkehrt, das aufregt und anregt. Je mehr man darüber nachdenkt, desto klarer erscheint das, was man eigentlich erzählen möchte.
Von diesem Gefühl getrieben, beginnt man zu schreiben. Fragmente und Eindrücke verdichten sich zu Sätzen. Diese führen, mal kürzer, mal ausführlicher, zur Beschreibung der Atmosphäre des zukünftigen Films. Daraus ergibt sich oft der Schauplatz, das sogenannte Setting. Aus der Atmosphäre und dem Setting entspringen Figuren. Die man gerne sehen möchte, oder auch die, die man nicht ausstehen kann. Aber die man alle gleichermaßen liebt. Es sind Figuren, die darauf brennen, ihren Platz in der Geschichte einzunehmen. Ihre Wahrheit loszuwerden. Und plötzlich steht sie glasklar vor einem: die Filmidee.
Was ist eine Filmidee?
Welche Idee taugt, um das Publikum zu fesseln und 5, 15, 45, 90 Minuten oder länger in Atem zu halten? Generell ist dies jene, die einzigartig ist. Doch was macht eine Idee einzigartig?
Meist sind es Elemente, die auf besondere Art in einen Film eingebaut sind. Wie wäre es mit dem Tod der Hauptfigur in der Mitte des Films? Oder mit einem Alien, das zum Haustier wird?
Oder es ist die besondere Erzählperspektive. Ein Krimi, der aus der Sicht des Mörders erzählt wird? Ein Liebesfilm, der alle Begebenheiten konsequent aus den Sichtweisen beider Liebender beleuchtet?
All das gibt es schon. Die Frage ist immer: Welche Mittel eignen sich für meine Idee, für das was ich erzählen will?
Und, dann die bohrende Frage: gibt es diesen Film, der mir vorschwebt, bereits? Im Meer der bestehenden Filme ist es oft schwer, sich einen Überblick zu verschaffen. Doch ermüdende Internetrecherchen über bereits existierende Filme blockieren den Fluss. Stattdessen lohnt es sich, dem Instinkt zu folgen und mit dem Schreiben anzufangen. Auf die persönliche Art, eine Geschichte zu erzählen, kommt es an. Es ist die unverwechselbare Stimme des Autors. Der einzigartige Ausdruck. Die wiedererkennbare Handschrift. Der besondere Blick auf die Welt. Und das findet man in sich selber und niemals im Außen. Kopien von Kopien gibt es genug. Und, kein Meister ist je vom Himmel gefallen. Man muss anfangen. Man schickt den inneren Zensor in die Pause, wirft Bedenken und Perfektionismus über Bord, und beginnt zu schreiben.
Folgende Fragen können helfen, die Idee zu konkretisieren:
- Warum gerade diese Geschichte?
- Was ist das, was Dich daran fasziniert?
- Was ist das Thema und der Hauptgedanke hinter der Idee?
- Welche persönlichen Bezüge gibt es zu eigenen Erfahrungen, Gedanken oder Wünschen?
- Wer sind die Hauptfiguren? Wie stehen die zu sich selbst und zueinander?
- Was sagt die Geschichte über die menschliche Natur aus?
- Für wen ist dieser Film gemacht? Für welches Publikum?
- Wie viel Budget und welchen Rahmen hast Du zur Verfügung?
- Welches Genre ist der Film?
- Ist Film das richtige Medium für diese Geschichte?
Nachdem man eine Idee gefunden hat, will diese entwickelt werden. Mit viel Schreiben und Umschreiben nimmt diese langsam Gestalt in Form eines Ideenpapiers an.
Das Ideenpapier für einen abendfüllenden Spielfilm sollte zwei bis drei A4-Seiten lang sein. Sie gibt einen Vorgeschmack über die Tonalität des Films, die Geschichte, die Protagonisten, das Setting. Kurzum, eine gute Idee liefert die Quintessenz des zukünftigen Films. Dann sind ein Expose und ein Treatment die nächsten Stufen auf dem Weg zum fertigen Drehbuch.
Mehr dazu bei unserem nächsten Eintrag. Dieser widmet sich dem Drehbuch an sich: Den Entwicklungsstufen, den Anforderungen, den Strukturmodellen.
Inspirations-Training:
- Schreibe jeden Tag nach dem Aufstehen eine halbe Stunde lang. Ohne nachzudenken, ohne Thema und ohne Ziel. Nur Du und Dein Wecker, der nach 30 Minuten schrillt. Diese, zwischen Schlaf- und Wachzustand entstandenen Texte, bezeugen die Fülle des Unterbewusstseins und die Existenz der eigenen kreativen Quellen.
- Schreibe jeden Tag Deine Erlebnisse und Beobachtungen auf. So schärfst Du Deine Sinne für Eindrücke. Auch die Kleinsten und scheinbar Unbedeutendsten zählen. So entsteht ein persönliches Archiv an Denkanstößen.
Probiere es aus. Ignoriere den Perfektionismus. Lass es raus. Egal wie sinnlos und bescheuert es sich liest. Du allein entscheidest, ob und wann Du die entstandenen Texte jemandem zum Lesen gibst.
Weiterführende Literatur:
Cameron, Julia: „Der Weg des Künstlers: Ein spiritueller Pfad zur Aktivierung unserer Kreativität“; Droemer Knaur, München, 2000
Kallas, Christina: „Kreatives Drehbuchschreiben“; UVK Verlagsgesellschaft mbh, Konstanz, 2007
Slide, Anthony: „Engel vom Broadway oder Der Einzug der Frauen in die Filmgeschichte“, aus dem Amerikanischen von Dagmar Hahn; tende Verlag, Münster, 1982